Minister Biltgen auf dem Weg zurück?

Manchmal bringt die Politik Großes zustande. Wegweisendes. Oder zumindest längst Überfälliges.

Dies war der Fall anlässlich der Verfassungsreform vom 12. Juli 1996 als das Großherzogtum endlich einen Verfassungsgerichtshof bekam.

Bis dahin konnte jeder Richter in einem ihm zugewiesenen Fall ablehnen ein Gesetz anzuwenden, das er für nicht verfassungskonform erachtete. Manche Richter benutzten diese Freiheit und einige recht spektakuläre Urteile erfolgten. Andere wiederum hatten nicht den Mut diesen Weg zu beschreiten. So wurden immer wieder Urteile auf Basis von nicht verfassungskonformen Rechtsnormen gefällt.

Dann endlich rang man sich durch unserem Land das Gremium zu geben, das alle Nachbarländer längstens kannten: einen Verfassungsgerichtshof.

Seitdem hat unsere „Cour Constitutionnelle“ in nicht weniger als 29 Fällen festgestellt, dass der ihr zur Überprüfung angetragene Gesetzestext nicht mit der Verfassung übereinstimmt. Das wundert natürlich nicht in einem Land, in dem die Rechtsstaatlichkeit so oft mit Füßen getreten wird und Abgeordnete wie Regierungsmitglieder mit Schamlosigkeit Gesetze durchpeitschen gegen die Verfassungsrechtler (allen voran der Staatsrat mit seinen „oppositions formelles“) höchste Bedenken anmelden.

Natürlich hat das aktuelle System auch Schattenseiten : zum einen, weil die Politik nicht schnell genug (wenn überhaupt) auf die Urteile des Verfassungsgerichtshofes reagiert und somit Texte, die als verfassungsfeindlich eingestuft wurden, weiter bestehen, und zum anderen, weil der Verfassungsgerichtshof nur a posteriori (das heißt für bereits bestehende Gesetze, nicht aber während der Entstehungsphase neuer Gesetze) angerufen werden kann, und auch das nur durch Gerichtsinstanzen.

Diese Mängel gilt es abzuschalten und hierzu wird die ADR konkrete Vorschläge unterbreiten.

Unter keinen Umständen aber dürfen wir den Verfassungsgerichtshof aufgeben, wie dies Justizminister Biltgen vorhat. Er schlägt vor, „alle Richter“ könnten dann über die Verfassungskonformität der Gesetze befinden.

Das aber wäre aus rechtsstaatlicher Sicht ein klarer Rückschritt. Es wäre nichts weiter als wieder in der Situation von vor 20 Jahren zu landen: kaum ein Richter, der Fragen der Verfassungskonformität  zu untersuchen akzeptiert, keine kohärente Rechtssprechung, keine Transparenz über Art und Zahl der festgestellten Verfassungsbrüche….

Liegt genau hier der Hase im Pfeffer? Ist es genau dieses Ziel, das die Regierung erreichen will!?

Es scheint ihr nicht zu gefallen, wenn plötzlich in schwierigen, juristischen Fragen Klarheit geschaffen wird.

Heute weiß der Bürger in der Tat,  dass über einen Zeitraum von 15 Jahren immerhin 29 Mal festgestellt wurde, dass unser Gesetzgeber die Verfassung gebrochen hat.

Weiter merkt man, dass dieser Zustand den Gesetzgeber nicht weiter beunruhigt. So aber war das System nicht gedacht: die Autoren der Reform von 1996 (darunter der Autor) waren sich sicher, dass die Politik auf Urteile der „Cour Constitutionnelle“ rasch und nachhaltig reagieren werde und die entsprechenden nicht verfassungskonformen Texte entsprechend ersetzen würde.

Pustekuchen.

Wieder einmal entdecken wir die CSV-Auffassung eines Rechtsstaates: ist ein Gesetz verfassungswidrig, dann muss halt die Verfassung geändert werden (so geschehen – zum Beispiel – nach dem Urteil 17 / 03  vom 7. März 2003).

Oder der Verfassungsgerichtshof abgeschafft….

Roy Reding, Vizepräsident der ADR

Dësen Artikel ass de 6. Mäerz an der Rubrik “Zu Gast” vum Lëtzebuerger Land publizéiert ginn.

 

 

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